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Februar

2. Februar

 

Ganz Teheran ist in Feierstimmung. Zumindest die Hülle, die Fassade der Stadt; im Inneren der meisten Menschen sieht es ein weniger trüber aus. Doch läuft man die Revolution entlang, eine der bekanntesten Straßen der Hauptstadt, ist ihr Namensgeber derzeit überall präsent. Auf riesigen Plakaten, in Ausstellungen und Gedenkfeiern. Vor der Universität Teherans haben sich zwei Grüppchen angesammelt. Wie die Plus- und Minuspole einer Batterie halten sie gemäßigten Abstand und bilden doch eine Einheit. Wir passieren und ich spüre alle Blicke auf mir. Abschätziges Zse begleitet die Kopfbewegung der Ahmadinedschads und Tschador-Krähen, die uns nicht aus den Augen lassen. Das sind eben die Ultrakonservativen; die, die den Jahrestag der Revolution feiern. Einer Revolution, die für die meisten Menschen keine Besserung gebracht hat. Die Situation befördert eine Frage zu Tage, die sich auch auf die große politische Bühne übertragen lässt: Lehrt die Shia wirklich Respektlosigkeit gegenüber anderen Kulturen?


4. Februar

 

Der letzte Mittwoch im Iran und ich wollte unbedingt noch mal ein Theater besuchen. Gesagt, getan. Wir haben uns durch den Feierabendverkehr und das anhaltende Schneetreiben wieder einmal bist zur Enghelab-Straße durchgewühlt und sitzen nun in gefühlten 36°. Vor uns eine Glasscheibe, die die Zuschauer von der Bühne abtrennt und einem so das Gefühl vermittelt, wie ein Voyeur in die Wohnung der Akteure zu spähen. Auf unseren Köpfen: Kopfhörer, durch die auch die Worte zu uns dringen. Neben mir: mein lebendes Übersetzungsbüro. Nur leider hilft auch das nicht sehr. Die handvoll Schauspielerinnen sprechen schnell und viel, weinen viel und lachen viel. Frauen eben. Doch mich wirft das zurück in die Zeit, als ich mich als blutige Persisch-Nichtskönnerin fühlte. Ich konzentriere mich darauf, das was ich kenne zu erhören und dabei nicht ins schwitzen zu geraten. Bei Saunatemperaturen keine leichte Aufgabe. Je näher das Ende des Stücks rückt, zu einem umso kleineren Schneeball ist mein Selbstbewusstsein geschmolzen. Als wir den Raum verlassen und Hooman mich mit einem Grinsen fragt, „Und wie viel hast du verstanden?“, ist der Klimawandel in meinem Inneren in seinem Endstadium angelangt. Nichts wie raus, wieder ein bisschen Schneeflocken fangen.


9. Februar

DER Tag ist gekommen. Zuvor war er nur als vager Termin umhergeschwirrt und wurde bald in die hinteren Ecken des Kopfes verbannt. Doch nun ist es soweit und Teheran scheint zu feiern. War das Wetter die letzte Zeit eher düster und kalt gewesen, scheint uns heute die Sonne in unsere Gesichter. Die letzten Stunden vor der Abfahrt bin ich kein lebendes Wesen mehr. Es scheint, als hätte irgendetwas Besitz von mir ergriffen. Ich bin wie benebelt, meine Hände zittern, die Aufregung kriecht in alle meine Atome und lässt mich nicht mehr klar denken. Doch Anoil und sein Freund Nardin nehmen mir alle Arbeit ab. Vom Taxi bis hin zur Diskussion mit dem Schaffner, der anfangs Probleme in meinem immensem Gepäck sieht. So wenig Schwierigkeiten sich später diesbezüglich ergeben, so viele beschwört der Herr mit Rauschebart herauf und erschwert uns die Situation. Nun gut, es klappt alles. Es ist 21.20 Uhr, als der Zug abfährt. An diesem Abend bin ich zu nichts anderem mehr fähig als zu weinen, mein Abendessen herunterzuschlingen und mich wieder weinend ins Bett zu legen, um weinend einzuschlafen.

Doch der Abend hatte auch seine lustigen Facetten, die sich mir aber erst am nächsten Tag erschlossen. Bevor es Anoil nämlich möglich war, den Bahnhof zu verlassen, musste er sich noch einer Polizeibefragung unterziehen. Diese hatte nämlich zusammen mit dem Zugschaffner den Verdacht, er würde ein Geschäft damit machen Mädchen von irgendwo in Teheran mit dem Zug nach irgendwo zu schicken. Und das alles, weil wir 2 Wochen zuvor bereits einmal hier gewesen waren, an Kathas Abfahrt. Das alles war ihnen sehr suspekt. Phantasien haben im alten und neuen Persien also nicht nur Dichter beflügelt... 

10. Februar

Wir haben wegen eines Polizeieinsatzes (wie es in schönem Münchner-MVV-Deutsch heißen würde) gute 2 Stunden Verspätung. Ein Ehepaar hatte versucht BHs aus dem Iran nach Syrien zu schmuggeln. Bis wir die türkische Grenze erreichen wird es immer kälter und erst gegen 21 Uhr Ortszeit erreichen wir Van, den Ort, von dem mich ein Bus an mein Endziel Adana bringen soll. Nur gibt es nun keinen Bus mehr. Doch iranische Gastfreundschaft gilt auch außerhalb der Grenzen. Meine Abteilgenossinnen Shanaz (Mutter) und Mahsa (Tochter) nehmen mich kurzerhand mit in die WG ihres Sohnes. Anlässlich dessen Auswanderung in die USA hatten sie sich aus der Nähe von Karaj aufgemacht in die Türkei, um ihm noch Lebwohl zu sagen. Weil die Familie Bahais sind, musste ein Familienmitglied im Haus bleiben. Ansonsten müssten sie eine Enteignung durch den Staat befürchten. Dem Vater blieb also nichts anderes übrig als das Haus zu hüten und die beiden Frauen allein von dannen ziehen zu lassen. Und mittendrin nun: Ich. Doch es tut gut unter so vielen Menschen zu sein, gutes Essen serviert zu bekommen und den Geschichten der anderen WG-Mitglieder zu lauschen. Denn im ganzen Haus hört man nur Persisch. Alle hier warten in der Türkei auf ihr Visum für die USA, Canada oder Europa. Eine einzige Ich-will-weg-Stimmung.

11. Februar

Ein Regen türkischen Busfahrer-Kauderwelschs prasselt auf mich nieder. Mir bleibt nichts anderes übrig als auf Englisch zu antworten. Mein Kopf ist noch in der persisch-englischen Sprachwelt hängen geblieben. Wir blicken uns an und müssen beide loslachen. Mein orangfarbener Rucksack und die pinke Riesentürkentasche kommen trotzdem an Bord. Und so sitze ich jetzt im topmodernen türkischen Reisebus, neben mir ein telefonierendes, weinendes Mädchen. Sie erinnert mich an mich selbst in den letzten Tagen und so versuche ich ein Gespräch anzufangen. Es stellt sich heraus, dass sie Eda heißt, 20 jahre alt ist und in Adana textil engeeniering studiert. Die letzten Tage hatte sie bei ihrem Freund in Van verbracht; er ist auch der Grund für ihre Traurigkeit. Ansonsten ist sie aber eher eine toughe Person, wie ich bei unseren Stopps an den zahlreichen türkischen Raststätten bemerke. Mit einer ihreigenen Bestimmtheit bestellt sie bei den Obern Tee und bewirkt nicht nur einmal Schmunzeln auf Seiten des Bedienungspersonals. Eda weiß, was sie will und bringt das in einer Mischung aus Lolita- und Ronja-Räubertochter-Gehabe auch ihrer Umwelt nahe. Ein bisschen zickig, doch trotz allem nicht ohne Intelligenz. Gypsie Kings, ein echtes türkisches Mädchen und türkischer Tee, so sieht mein erster Tag in der neu gewonnenen Heimat aus. Und ich genieße es und lasse mich treiben. Hin zu meinem Endziel: Adana.

12. Februar

Ich habe es geschafft. Nach 60 Stunden bin ich in Adana angekommen... Heute stehe ich unter Adrenalin. Alles fühlt sich so anders an. Die neu gewonnenen Freiheiten, vor 5 Monaten habe ich ihnen entsagt, nun habe ich sie zurückgewonnen. Geht es nur mir so oder auch vielen anderen? Ich sauge die frische Luft ein, genieße die Sonne auf meinen Haaren und beobachte freudig lachende Kinder und turtelnde Paare. Hatte ich das alles vergessen? Nein. Es war nur nicht mehr so präsent. Der Mensch ist ein Gewöhnungstier und so hatte ich Kopftuch, Zurückhaltung und die Absenz körperlicher Nähe in der Öffentlichkeit angenommen. Dass ich diese Dinge vermisst habe, war mir immer klar; doch in welchem Maße und in welchem Maße, sie mich auch glücklich machten, nicht. Das Gefühl etwas Atbekanntes zurückgewonnen zu haben, erfüllt mich. Es ist wie, wenn man einen Freund, den man lange nicht gesehen hat, endlich wiedertrifft. So schließe ich Adana und mit dieser Stadt Teile meines alten Lebens in die Arme. Wie ein Kind entzückt mich das kleinste Detail, Teetrinken am Flußufer, lautlachende Frauen... Die Zeit im Iran war unvergleichlich, mit ihr die Menschen. Doch an diesem Tag liegen zwischen Teheran und Adana mehr als über 1000 km.

17. Februar

Wir haben in unseren Zimmern im Studentenwohnheim (LOJMAN) keine Kochutensilien, wirklich nichts, aber einen Backofen plus zwei Herdplatten. So machen meine Nachbarin Nesli und ich uns auf ins Stadtzentrum. Unsere Mission: Kochtöpfe und Pfannen kaufen. Gesagt, getan nach einer Stunde sind wir bepackt mit drei großen Tüten und wir wären nicht in der Türkei, würde es jetzt nicht heißen: erstmal einen Kaffee trinken. O.K. ich gebe es zu, eigentlich wollten wir erst zu Tchibo. Die sollen hier gleich in der Nähe nämlich eine Filiale haben. Aber nein, dann fragen wir doch in einer Drogerie nach einem Cafe in der Nähe. Zwei abgebogene Ecken später bietet sich uns links ein eher schickeres leeres Cafe, rechts ein traditionelles, lautes Studentenlokal. Wir nehmen Tor 2 und tauchen ein in die echte Türkei. Nicht nur uns gefällt die Loklität, auch wir gefallen unserem Kellner. Der wird nämlich immer für einen Deutschen gehalten und hat noch nie Deutsche gesehen. Deshalb starrt er mich auch jetzt an wie Knut. Dafür erhalten wir dann auch eine Sonderbehandlung und er empfiehlt uns eine Kaffeesatzleserin. Denn hier ist die Hochburg des In-die-Zukunft-Schauens. Acht Frauen und Männer versuchen die Ungewissheit ihrer Kunden zu stillen. Nach einer Stunde warten sind auch wir an der Reihe. Mit klopfenden Herzen... Neslie beginnt und alles stimmt. Es ist beängstigend. Nun bin ich an der Reihe. Und ereits nach drei Sätzen vergeht mein Lächeln und Ernsthaftigkeit breitet sich aus. Wie kann diese Frau mit den schlechten Zähnen das alles wissen? So vieles ist wahr und auch gut. Doch eine Sache betont sie über den ganzen Kaffeesatz: ich habe derzeit viele Augen auf mir. Es bedeutet, dass viele Menschen derzeit mit einem bösen, einem neidischen Blick auf mich sehen. Es macht mir Angst, normalerweise glaube ich nicht an sowas, aber ab sofort gehe ich nur noch mit meinem Schlüsselanhänger, dem Auge, aus dem Haus.


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