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Oktober

2. Oktober 2008

London, New York oder München... wenn man Teheran mit der U-Bahn durchquert, könnte man sich auch dort aufhalten. Viele Anzugträger, saubere Bahnsteige und digitale Anzeigen. Alles bekannt. Nur das extra Frauenabteil macht den Unterschied. Es ist aber trotzdem gestattet bei den Männer einzusteigen und man muss sagen, dort ist es sogar angenehmer. Bei den Frauen werden die Ellbogen ausgefahren, hier werden Sitzplätze angeboten.

Unser Ziel ist das Ebrat Museum, dessen Gebäude dem Shah früher als Gefängnis für Dissidenten und politische Widersacher diente. Dort versuchte man ihnen Informationen zu entlocken und das mit allen Instrumente, die einem zur Verfügung standen.

Die Führung findet auf Persisch statt, aber die realitätsnahe Darstellung der Szenen sagt mehr als tausend Worte. Doch zur Einstimmung wird erst einmal ein Film gezeigt, der ehemalige Häftlinge zu Wort kommen lässt und auch deren Alltag zeigt. Der Lonely Planet schreibt darüber: which (the film) might be not suitable for little children. Doch da benennen sie eher das kleinere Übel. Denn der Gang durch das Gebäude hält noch ganz andere Bilder bereit. Inhaftierte, dargestellt durch Wachsfiguren, die blutig geschlagen an Metallstäben im Innenhof aufgehängt wurden. Mit Zigaretten verstümmelte Körper. Menschen, nackt eingekerkert in sogenannte „Heiße Käfige“ (sie verbrannten sich an den erhitzten Stäben). Der Savak (die Stasi des Shahs) hatte vom amerikanischen und britischen Geheimdienst alle Tricks des Folterns gelernt und erprobte sie im Ebrat Gefängnis am lebenden Objekt. Die Folgen dieser Behandlung werden dem Besucher anhand von echten Fotos nahe gebracht. Auf manchen fällt es schwer, überhaupt noch einen menschlichen Körper zu erkennen. Hier sollte man um psychischen Schäden bei Kindern fürchten; aber nein, vielmehr wird das Museum benutzt, um den Menschen zu zeigen wie schändlich und grausam der Shah über den Iran herrschte. Natürlich, was sich dort abspielte, befand sich jenseits von Gut und Böse und nicht nur einmal schreien beim Durchschreiten alle Eingeweide auf. Doch es lässt sich nicht verleugnen, dass sich Ähnliches auch derzeit im Evin Gefängnis abspielt. Akteur ist nur ein anderer. Und der war selbst Häftling in Ebrat, wie auch viele andere, die nach der Revolution von 1979 in Politik und Geistlichkeit Karriere machten. Die, die die Zeit im Gefängnis nicht überlebten und qualvoll starben, leben als Märtyrer weiter. Auf Bildern, DVDs und Schlüsselanhängern... Leider mahnen ihre Geschichten nicht, sondern scheinen sich vielmehr wieder und wieder zu wiederholen. 

9. Oktober 2008 

Die Iraner sind ein eher faules Volk. Menschen in Sport- oder gar Wanderkleidung sind deshalb selten gesehen. Ich als Frau falle da noch umso mehr auf. Naja, ob einen jetzt 10 oder 15 Leute anschauen, macht dann doch keinen Unterschied mehr. Und ich spruehe vor Vorfreude wie ein Kind in der Nacht vor seinem Geburtstag. Wir hatten beschlossen einmal der Urbanitaet zu entfliehen und zum Wandern ins Alborz-Gebirge zu gehen. Da Teheran im Norden direkt in die Berge uebergeht, kann man direkt in der Stadt starten. Also los ab Darband, was sich verwegen durch das Gestein hochschlaengelt. Am Fusse des Berges hat sich ein kleines Dorf mit Restaurants und Teehaeusern gebildet, die sich mit Gaerten wie aus 1001 Nacht dicht aneinander draengen. Um diese Zeit ist noch nicht viel los, aber nachmittags und abends fuellen sich die Raeume mit Teheranern und dem Geruch der Wasserpfeifen. Wir steigen weiter auf und je hoeher wir kommen, desto weniger Menschen begenen uns. Waren es anfangs mehr Paerchen, die den leichten Weg nutzten um kontrollierenden Blicken zu entfliehen, begegnen uns nun mehr aeltere, wandererfahrene Teheraner. Der Wechsel der Charakter laesst sich am Wechsel des Schuhwerks nachvollziehen. Iranische Maedchen scheinen in hohen Schuhen wirklich alles machen zu koennen. 

Nachdem wir das letzte groessere Restaurant hinter uns gelassen haben, kehrt endlich wirkliche Wanderstimmung ein. Die wenigen Leute, die man trifft gruessen mit einem freudigen Salaam und wuenschen einen guten Aufstieg. Die Ruhe und Stille umschliesst und bietet endlich einmal die Moeglichkeit zu entspannen. Kein Autohupen, Smog oder Menschengewimmel. Schon lange habe ich etwas nicht mehr so genossen wie diesen Aufstieg. Steile Wege, trockene Straeucher, blauer Himmel... Keine Gedanken. Ein Gefuel, eingepackt wie in Watte, doch beobachtend.
Unseren Zwischenstopp, eine Berghuette, erreichen wir halbwegs flott. Ganz Profi saugen wir auf der Dachterasse mit Blick auf Teheran Sonnenstrahlen auf und fabulieren von Weissbier, Russen und Kaiserschmarrn. Doch wir begnuegen uns mit Chai und Nan und folgen einem recht ungewissen Pfad quer durch die Berge nach Jamshidie. Unser Schutzengel schickt uns einen Iraner, der den Weg kennt und uns anspricht. Ausser uns vieren wird in den naechsten Stunden sich niemand in unmittelbarer Umgebung aufhalten. Und wir haetten den Pfad nie gefunden. Er ist vielmehr nur eine feine Linie, die sich leicht von der Umgebung abhebt. Dieses Tal ist bezaubernd. Wir sind die einzigen Wanderer. Um uns herum nur Felsgestein, Trockenheit und ein kleiner Gebirgsbach. Die Vegetation ist hier eine ganz andere als in den Alpen. Die Schroffheit der natur schafft zusammen mit dem schneidenden Wind, der das Tal durchzieht, ein Gefuehl des Entdeckens und der Naturverbundenheit. Diese Wanderung ist mit eine der Besten, die ich bisher gemacht habe. Sehr anstrengend fuer den Koerper, aber sie verleiht Kopf und Seele Fluegel. Als wir den hoechsten Punkt unserer Reise erreicht haben, verschwindet bereits die Sonne hinter einem der vielen Gipfel und schlagartig wird es frostig. Mit dem Blick auf den Teheraner Osten und seinen sich vermehrenden flackernden Lichtern, machen wir uns an den Abstieg. Da es sich um Sandgestein handelt, ist es relativ rutschig und ich gehe manchmal voran. In diesen Momenten geniesse ich das Nichts, das Alleinsein und die romantische Stimmung der Daemmerung. Und genau hier packt es mich, kurz flackert es auf: Spuern von Heimweh. Ich spuere, dass ich speziell in bestimmten Momenten Familie und Freunde sehr vermisse. Es ist aber kein destruktives Gefuehl, eher eines, dass mich in der Bedeutung dieser Menschen fuer mich und mein Leben bestaerkt. Es zeigt einem, was wichtig ist.

Iranische Popmusik, immer wieder singt uns unser Kompagnon sein Reportoire an romantischen Liedern vor. Bei zunehmender Dunkelheit folgen wir dem Pfad in Richtung Steingarten. Dass die Wanderung so lange dauern wuerde, haetten wir nicht gedacht. Die letzten eineinhalb Stunden erleben wir im Schein des Halbmondes; doch so verwunderlich es sein mag, immer wieder begegnen uns Menschen, die noch in der Dunkelheit den Weg hoch zum Restaurant auf sich nehmen. Angekommen an unserem Ziel, ist aber genau das, auch etwas an wir nur noch denken koennen: Essen.

An Schlafen ist danach fuer mich aber noch nicht zu denken. Ich verliere meine Unschuld. Meine erste iranische Party. Juhuu. Pooyan hatte mich eingeladen mitzukommen. Es ist die Geburtstagsparty des Mannes einer seiner Mitarbeiterinnen. Total verspaetet und mit einem Magen der einen Riesenteller Spaghetti in 5 Minuten gegessen hat, erreichen wir die Wohnung. Einige Freunde von Hooman und Pooyan erkenne ich wieder und bin so nicht ganz verloren. Aber ich akklimatisiere mich eh recht schnell, denn die iranischen Maedels nehmen mich gleich in Beschlag. Jacke ausziehen, Drink geben lassen und ab zum Tanzen. Ich fuehle mich total underdressed (alle anderen sind in hohen Schuhen, Kleidern etc.), aber wenigstens scheint sich mein Tanzstil nicht so sehr vom hiesigen zu unterscheiden. Alle fragen mich, woher ich weiss wie man orientalisch tanzt. Puh nochmal Glueck gehabt. Ein Fettnaepfchen ausgelassen. Ganz neu-iranisch finden sich am Buffet Nudelsalat, Burger und Wodka bzw. Bacardi. Genauso wenig wie der Arm der Islamisten in die Koepfe der Jugendlichen reicht, reicht er hierhin. Doch Traditionen werden deshalb nicht vergessen. Um kurz nach Mitternacht gibt es, damit alle auch noch ein bisschen laenger durchhalten, eine Runde Chai...

12. Oktober 2008

Hier folgt ein kleiner Nachtrag zur Party. Hatte nämlich nicht erwähnt, dass wir wegen kleinen Schwierigkeiten die Feier bereits um eins verlassen hatten. Dass es irgendwas mit mir zu tun hatte, hatte ich bereits gespürt, aber naja die Perser, die verneinen sowas natürlich. Heute kam die Aufklärung. Hatte mich nämlich auf der Party mit Jungs unterhalten, die Freunde von einer Freundin von Pooyan und Hooman waren (klingt kompliziert, ich weiß). Unterhalten ist eine Übertreibung, denn bereits nach drei Sätzen wurde ich weggezogen. Warum verstand ich nicht, aber kurz darauf kam es zu unauffällig auffälligen Wortwechsel zwischen den Parteien und mir kam die ganze Situation immer komischer vor. Also das Problem wurde mir jetzt mitgeteilt, war, dass ich ja mit Pooyan kam und wenn im Iran ein Mann mit einer Frau auf einer Feier erscheint, ist es unhöflich, wenn ein anderer diese anspricht, "to be her friend". Diese Jungs haben also, obwohl sie die Regeln kannten, gegen diese gehandelt und das führte zu dicker Luft.

Definitiv handelt es sich hierbei um einen extremen Kulturunterschied, an den ich mich, als relativ unterhaltungsfreudiger Mensch, schwer gewöhnen werde. Besonders entsagt man der Frau dabei ja jegliche Selbstbestimmung. Vielmehr unterstellt man ihr Willensschwäche und einem möglichen Gespräch das determinierte Ende Beziehung. Aber besonders wir als Ausländer wollen ja die Leute und die Kultur kennenlernen und dazu benötigen wir auch das Medium Sprache. Ich wehre mich dagegen mir vorschreiben zu lassen, mit wem ich mich unterhalte und mit wem nicht. Sollte es noch zu mehr solcher Situationen kommen, seh ich mich schon eine kleine Revolution vom Zaun brechen. Aber an Revolutionen sind die Iraner ja bereits gewohnt...

15. Oktober 2008

Es schneit. Große weiße Kugeln. Nein, natürlich es schneit nicht wirklich. Der Schnee, der auf uns herabrieselt, ist vielmehr ein weißes Papierknöllchen. So überrascht wie Kinder bei der ersten Schneeflocke in den Himmel schauen, blicke ich um mich. War das für uns gedacht oder hat da jemand nur seinen Müll durchs Fenster entsorgt? Denn auf der Vali-Asr herrscht mal wieder der übliche Benzin-ist-viel-zu-günstig-und-außerdem-bin-ich-zu-faul-deswegen-fahr-ich-allein-im-Auto-wie-alle-anderen-15-Millionen-Teheraner-auch-Verkehr. So frische Luft wie hier findet man selten in Teheran. Aber zurück zu unserem recycelbaren Geschoss. Drei Jungs hatten es nämlich im Vorbeifahren von ihrem Motorrad auf uns abgefeuert. Nein, es waren keine vollbärtigen Jugend-Terroristen, keine Angst. Nur Jungs, die um ihre Weibchen zu erledigen vom Speer zum Papierknöllchen mit Telefonnummer übergegangen waren. Als postmoderne Sammlerinnen hatten wir aber leider unsere Körbchen zum Zettelpflücken zu Hause vergessen. Und außerdem wer beeindruckt schon mit Knöllchen, wir wollen Papierflieger sehen !

 

17. Oktober 2008

6.40 Uhr. Der Wecker klingelt unaufhörlich. Nach gerade einmal fünf Stunden Schlaf, beginnt der heilige Freitag für uns. Da hilft nur eins: das Gemüt mit leckerem, frisch gebackenen iranischem Brot und etwas Nutella besänftigen. So beflügelt geht’s mit Pooyan und Hooman im Auto ins Alborz-Gebirge. Denn heute steht mal wieder Steinegucken an. Im Nordwesten des Iran befindet sich die Burg Alamut, die den dortigen Ismaeliten, auch bekannt als Assassinen, von 1089 bis 1256 als Festung diente. Ihr Name dient noch heute vielen Sprachen als Bezeichnung für den Attentäter, Mörder. Denn bekannt wurden die Ismaeliten besonders durch ihre fida’is, Männer, die von Alamut aus in die Welt hinausgeschickt wurden, um politische Morde auszuführen. Von Freya Stark bis Marco Polo, viele Reisende haben zur Mythenbildung über das Volk im Alborz-Gebirge beigetragen. Stichfeste Erkenntnisse sind nur schwer zu finden. Doch genau das bisschen, was man vielleicht durch die Überbleibsel der Burg erhält, wollen wir suchen. Auf schmalen Serpentinen geht es von Qazvin aus ca. 60 km ins Innere der sandigen Hügellandschaft. Überall Trockenheit und Staub; an den Stellen wo augenscheinlich doch ein wenig Wasser aus der Erde tritt, finden sich kleine Bergdörfer mit Wein- und Reisplantagen. Sie bilden die einzigen Farbtupfer in der sonst doch eher gleich aussehenden Landschaft. Der Herbst kündigt sich auch hier an, gelb geht über in orangerot hin zu grün. Ein klitzekleines Toskana-Gefühl lassen die Alleen mit hohen pinienähnlichen Bäumen aufkommen, die wir durchqueren.

Alamut selbst thront auf einem Felsen über solch einer Ansammlung von Berghütten mit ihren funkelnden Wellblechdächern. Hier wird einem klar, woher die Burg den Namen Adlernest erhielt und warum sie nie gewaltsam eingenommen werden konnte. Ein riesiger Felsblock  mit schmaler Taille bildet das Fundament, von ihm lässt sich die ganze Umgebung erspähen. Die Burg ist nur über eine Seite zugänglich, wo sich auch das ehemalige Haupttor befindet. Nur hierdurch hätten fremde Truppen sie erstürmen können, überall sonst geht es steil in die Tiefe. Erst vor zehn Jahren hat die Cultural Heritage Organisation des Iran mit den Ausgrabungen in Alamut begonnen. Und das, wo die Existenz der ca. 1200 Jahre alten Burg überall die Jahre bekannt war. Es wurde viel geschrieben über die Assassinen, aber wenig an Ort und Stelle untersucht. Der Makel der ihnen anhaftet, ist ihre Religion. Zwar handelte es sich bei den Ismaeliten um Shiiten, jedoch hatten sie sich 765 n.Chr. vom orthodoxen Shiismus abgespalten und werden heute noch genauso als Sektierer diffamiert. Auch im Abendland konnten die Assassinen nicht wirklich Punkte sammeln. Trotz großer kultureller Leistungen (angeblich stand in Alamut eine der größten Bibliotheken der Welt) und der Konzentration auf die intellektuelle Erziehung der Bewohner, wurden sie vielmehr berühmt für ihre politisch motivierten Attentate. Marco Polo, der Forschungen zu Folge nie wirklich in die Teile der Welt gereist war, von denen er berichtete, konstituierte im Westen das Bild der Haschisch rauchenden Märtyrer. Er berichtete von paradiesischen Gärten, in denen Milch und Honig floss und Jungfrauen umherschwirrten. Der Begründer der Dynastie der Assassinen, Hasan Sabah, habe junge Männer hierher entführt um ihnen das Paradies vorzugaukeln und sie so leichter für die Ausführung seiner Attentate gewinnen zu können. Also wir haben keine Gärten gesehen und auch die Mitarbeiter des Ausgrabungsteams halten solche Anlagen für unwahrscheinlich. Besonders kann man sich die beschriebene Pflanzen- und Früchtevielfalt in einer derartigen Kargheit kaum vorstellen. Aber wer weiß, was die Ausgrabungen hervorzaubern. Denn vieles befindet sich noch unter der Erde. So beantwortet einer der Mitarbeiter, der uns eine kleine Führung gibt, meine Frage, wo denn die Toiletten gewesen sein, mit einem „is it an emergency?“. Also sie wurden noch nicht entdeckt.

Nichts desto trotz lassen die verbliebenen Steine das Leben der Assassinen real werden. Man kann sich vorstellen, wie die Menschen morgens aus ihrem Fenster den Aufgang der Sonne über dem Tal verfolgten. Genauso wie die Szenerie, als fremde Eroberer am Fuße des exponierten Felsen verzweifelten und in den harten Wintern beinahe erfroren. Alamut konnte nie gewaltsam erobert werden. Als im 12. und 13. Jahrhundert der Sturm der Mongolen die Geschichte Asiens bestimmte, konnten sich auch die Assassinen seiner Gewalt nicht entziehen. Sie kapitulierten 1256 und gaben ihre Burgen freiwillige in die Hände Hülägüs. Was darauf folgte riss tiefe Furchen in die kulturelle und intellektuelle Geschichte Irans. Mit der ihr bekannten Gewalt machten die Mongolen alles, auch das einstige Adlernest dem Erdboden gleich. Sie zerstörten jegliche Literatur, die in Alamut gesammelt worden war, und verhinderten auf diese Weise, dass das Bild der Ismaeliten bzw. Assassinen in der Geschichte zurecht gerückt werden konnte.  


17. Oktober 2008 abends


Der Mond ist beinahe vollkommen. Schon jetzt erhellt er die Straßen. Ich schließe meine Augen und schon fliege ich in Gedanken Tausende von Kilometern. Durch Straßen voller Herbstlaub. Der Geruch von Croissants und Kaffee liegt in der Luft. Einer Luft, die sich scheinbar kristallklar aus dem blauen Himmel ergießt. Wir schlendern, ohne Ziel und Richtung. Wichtig sind nur die Eindrücke, die Beobachtungen, die wir auf unserem Weg machen. Vespa-Knacken und die zahlreichen Stimmen anderer bilden die Hintergrundmusik für unser Gespräche. Das sind wir.

Vor einem Schaufenster steht eine Schachtel mit Schuhen. Zu verschenken ist mit schwarzem Filzstift draufgekritzelt worden. Du nimmst meine Hand, ich nehm deine. In unseren Sonntagsklamotten probieren wir schwarze Lack-Pumps. Wir wackeln auf den Absätzen rum und nehmen uns lachend in die Arme. Dieser Moment gehört uns und diesem Paar Pumps, das weder dir noch mir hundertprozentig passt. Doch sie sind unser Talisman auf dem Streifzug durch die Stadt, durch uns und unsere Leben. Ein letztes Mal umarmen wir uns, ich fühle du bist mir ganz nah. Wir drei sind in diesem Moment das perfekte Paar.

Mit diesem Gefühl im Gepäck fliege ich wieder, über weiße Berge, blaue Flüsse, weiße Meere und braune Steppen. Nur einen Schwingenschlag bin ich von dir entfernt. Immer noch scheint der Mond hell am Nachthimmel. Coldplay singt „Look at the stars, look how they shine for you“ und ich lächle ihn an, den Mann im Mond, der mich immer wieder auf die Reise schickt.

20. Oktober

Mmmh, Chai muntert einfach immer wieder auf. Wir genießen die 15 Minuten Pause zwischen dem Unterricht und beginnen gerade ein Gespräch mit zwei ukrainischen Kommilitonen, als ich meinen Augen nicht traue. Der Iraner (ich glaube sein Name war mal wieder Hadi), dem wir beim Wandern von Darband nach Jamshidiye begegnet sind, taucht auf. Um Zufall kann es sich eigentlich nicht handeln... Abrupt verstummt, bin ich etwas unschlüssig, was wir nun tun sollen. Doch er hat uns bereits entdeckt und steuert auf unseren Tisch zu. Also sind wir doch das Ziel seines Besuchs im Dekhoda Institut. Die Blicke, die Katharina und ich wechseln, sind gefüllt von Ungewissheit, aber auch Zweifel an den Motiven des jungen Ingenieurs. Das Gespräch tröpfelt so dahin, aber aufgeklärt wird die Situation nicht. Es herrscht eine Stimmung, in der niemand weiß, was zu sagen ist. Alles ist Höflichkeit. Doch endlich befreit uns das Klingeln der Pausenglocke aus diesem Käfig und wir entfliehen in unser Klassenzimmer. Noch etwas verstört, spricht uns die Dozentin auf den jungen Iraner an; er habe sich bei ihr nach den Deutschen erkundigt, die er vor kurzem kennengelernt und mit denen er sich so gut verstanden hatte. Er müsse sie unbedingt sprechen, denn er sei im festen Glauben, wenn er eine gute und feste Beziehung zwischen uns deutschen Studenten und ihm als Iraner aufbauen könnte, würde das Wellen schlagen, die auch die politischen Verbindungen der beiden Länder bewegen würden. Auf diese Weise wäre es möglich, das Eis zwischen Angela Merkel und Herrn A. zu brechen und ihnen zu einem Happy End zu verhelfen. So viel Naivität gibt es wahrlich nur im Iran. Wenn internationale Politik doch so einfach wäre... Man bräuchte für den Weltfrieden nur eine Handvoll Austauschprogramme für Studenten.     


22. Oktober 2008

Voll bepackt mit tollen Sachen, die das Leben schöner machen, hinein ins Weekend-Feeling... So fühlen wir, Bahar, Katharina und ich, uns auch. Unsere Rucksäcke sind prall gefühlt, denn gleich nach der Uni soll es mit dem Bus über Nacht nach Shiraz gehen. Glücklicherweise besitzen die Iraner als Zwölferschiiten eben 12 Imame. Diese sind auch irgendwann mal gestorben und ihr jeweiliger Todestag wird als Feiertag zelebriert. Ein solcher ist der kommende Samstag und so haben wir für unseren Kurztrip bis Montag früh Zeit. Doch so schnell kann es noch nicht losgehen. Ein Studienkollege von uns, Omanier/Omanmann/Omane oder wie es sonst auch heißen mag, hat uns angeboten uns zum Busterminal zu fahren. Auf dem Weg dorthin schwärmt er uns in den höchsten Tönen von seinem Appartement vor und  so kommen wir nicht umhin, eine kleine Wohnungsbesichtigung zu machen. Zeit haben wir ohnehin, denn Tickets besitzen wir noch nicht und die Busse fahren stündlich ab. Und wer war schon mal in einer ca. 180 qm großen Diplomatenwohnung für 3000 $ in bester Lage? Standesgemäß fahren wir in Saifs weißem Botschaftsauto vor und parken nach einem kurzen Plausch mit dem Pförtner das Auto in der hauseigenen Garage. Selbst der Aufzug, der uns in die Wohnung befördert, bringt uns zum Staunen. Er besitzt sechs Ecken, aber eine eher willkürliche Form. Dass man sich bewegt, erkennt man nur an der Stockwerksanzeige. Im Appartement angekommen, werden wir ganz blass vor Neid. Wenn deutsche Diplomaten auch mit derartigen Heimen versorgt werden, schreibe ich sofort dem Auswärtigen Amt einen Drohbrief, der als Forderung meine Aufnahme in den Dienst beinhaltet. Saif hat nicht gelogen, die Wohnung ist riesig und bestückt mit edlem Mobiliar, welches vom Stil her häufig auch in Hotels der oberen Klasse zu finden ist. Naja, mein Geschmack ist das zwar nicht, aber was macht das schon. Ein 60 qm Wohnzimmer, 3 Schlafzimmer, eine große Küche und 2 Bäder, wer hat das? Und dazu noch eine Haushaltshilfe und Köchin. Wir träumen und Saif tröstet uns mit der Aussicht auf eine Party bei sich zu Hause.

Am Busterminal angekommen, folgt erst mal die Ernüchterung. Keine Plätze mehr bis zum nächsten Morgen. Aber das wäre nicht der Iran, wenn nicht noch für drei Frauen aus dem Westen doch irgendwo ein Platz zu finden wäre. Es ist 19:37 und die Busse fahren immer zur vollen Stunde nach Shiraz. Sage und schreibe 5 Minuten später folgt die Ansage des netten Ticketverkäufers, es gebe doch noch Sitzplätze für uns. Im 20 Uhr-Bus! Ich liebe den Iran für sein Tarof. Wie der Herr das gemacht hat, bleibt uns unerklärt, jedoch geht das Geld für ein Ticket direkt an den Busfahrer und nicht an die Reisegesellschaft. Ob es dort bleibt oder so Iraner aus dem Bus rausgekauft wurden, wissen wir nicht; wir sind nur froh, dass ein Nein im Iran kein Nein bleibt.

Busfahren im Iran ist komfortabler als in Europa. Die Fahrzeuge sind alle relativ neu und man erhält die ganze Fahrt über kostenlos Wasser und als Schmankerl ein Süßigkeitenpaket. Außerdem läuft zum Einschlafen auf den ausklappbaren Fernsehern jedes Mal der gleiche iranische Liebesfilm. 12 Stunden Fahrt stehen uns bevor, die wir hoffentlich größtenteils schlafend meistern werden. Es funktioniert erstaunlicherweise recht gut, unterbrochen wird der die Ruhe nur durch zwei Pausen, die erste zum Essen und Einkaufen um sage und schreibe 24 Uhr. Nach weiteren viereinhalb Stunden kommt der muslimische Teil. Es wird zum Morgengebet an einer Moschee in einem der kältesten Teile des Iran Halt gemacht. Selbst die Katzen (die übrigens im Iran größtenteils auf der Straße leben, obwohl doch die Perserkatze eines der bekanntesten Exportprodukte ist) suchen in den Mülleimern nach Wärme.


23. Oktober 2008

Shiraz unterscheidet sich stark von Teheran. Julia aus „Romeo und Julia“ steht John Travolta aus „Grease“ gegenüber. Wo der eine die Sinne und Ästhetik betont, setzt der andere eher auf Größe und Stärke. Shiraz zeigt sich kulturell überlegen und bleibt aber trotzdem modern. Die Atmosphäre der Stadt ist gefüllt mit Freundlichkeit, Offenheit und größerer Toleranz. Tarof wird hier von Herzen ausgeübt, viele Einheimische sprechen Englisch und nehmen auch jede Gelegenheit wahr es anzuwenden. In Teheran finden sich wie in jeder anderen Hauptstadt Menschen, die im Stau stehen, leicht gestresst sind und es an Freundlichkeit fehlen lassen. Hier ist man an Ausländer gewöhnt, ja man hat die Moderne vielmehr wie einen breiten Strom aufgesogen. Alle westlichen Konsumgüter sind angekommen und mit ihnen die Hektik, die unsere Städte auszeichnet. Dieses Gewirr fehlt 850 km südlich in Shiraz. Zwischen 12 und 15 Uhr befindet man sich in einer Geisterstadt mit 1,7 Mio. Einwohnern. Die Luft ist klarer und die Straßen sauberer. Natürlich die Menschen sind hier traditioneller geprägt und so sieht man in den Straßen für Damenbekleidung auch vermehrt schwarze Manteaumodelle. Die Fortschrittlichkeit der Shirazi findet eher in ihren Köpfen statt als im äußerlich Sichtbaren.

Diese Ambivalenz genießen wir bei einem Dinner in einem Restaurant, das seinen Platz in einem riesigen Nomadenzelt gefunden hat. Gegessen wir ganz traditionell auf Betten aus Holz, die mit Teppichen und Kissen ausgelegt sind. Im Kreis um die köstlichen Speisen sitzend probieren wir mal wieder Kebab Kubide (ähnlich Hackfleischspießen) und Kebab Bakhtiyari (Hühnchen- und Lammstücke). Als Beilage wird Chelo (Reis mit Safran, dazu eine gekochte Tomate), Nan (Fladenbrot) und Joghurt gereicht. Zu traditioneller Musik und dem Geruch von Wasserpfeife schlagen wir uns die Bäuche voll, nur unterbrochen durch das immer wieder nötige Wechseln der Sitzposition. Daran sind wir Abendländler einfach nicht gewohnt. Auf den anderen Betten schmausen fast ausschließlich Iraner, nur eines ist von Touristen besetzt. Eine fünfundzwanzigköpfige Geburtstagsgesellschaft klatscht und feiert zum Gesang des Mannes, der zuvor noch an der Kasse saß. Im Iran besitzt eben jeder ein Talent zum Singen. Etwas weiter von uns entfernt
hat sich eine Gruppe junger Shirazi beiden Geschlechts zum Wasserpfeiferauchen eingefunden. Ebenso wie die Frau am Nebenbett genießen auch die Mädchen den Geschmack des Tabaks. Gesellschaftliche Normen wie das Korrektsitzen des Kopftuchs und die Diffamierung rauchender Frauen scheinen sich im Nebel der Wasserpfeifen aufzulösen. Mädchen und Jungs berühren einander und lachen gemeinsam. Fernab von allen Versuchen der Regierung jeglichen Spaß zu unterbinden, genießen sie einfach den Abend und zeigen uns mal wieder, wie wenig der Mensch dazu eigentlich benötigt. 


24. Oktober

Unser Frühstück ist wirklich eine Henkersmahlzeit. Wasser mit Nan, das wir gerade dem Kebab-Verkäufer abgekauft haben, da noch kein Tante Emma Laden geöffnet ist. Die hier herrschende Logik ist also, bevor man in der Früh einkaufen geht (z.B. fürs Frühstück) braucht der Durchschnittsmensch erst mal einen Kebab. Naja, wir bleiben bei Brot und Wasser, auch wenn das für die nächsten sieben Stunden reichen muss. Wir haben uns einer Bustour angeschlossen, die uns Persepolis und noch eine Stätte nahe bringen möchte, deren Namen wir uns aber nicht merken können.

Die Besetzung der englischen Gruppe stellt sich dar wie folgt: ein indisches Ehepaar aus Goa (er 80, sie etwas jünger, die in den letzten 15 Jahren zusammen 45 Länder bereist haben; klassische Aufgabenteilung, sie packt die Koffer, er zahlt), ein holländisches Ehepaar (er mit Krücken, beide denken, Holländisch sei nach Englisch die zweite Weltsprache), ein Franzose (nach französischem Stil eher dezent zurückhaltend), Mutter und Tochter aus Armenien oder so (oder sie sind beide Hobby-Archäologen, denn sie können das Alt-Armenische entziffern), zwei iranische Brüder (beide 17, der eine angeblich ein bekannter Sänger, mmh), ein Belgier (der in Brüssel arbeitet, aber in Maastricht wohnt, und von Georgien aus, wo er sich mit den Soldaten aus dem Krieg betrunken hat, über Land in den Iran gekommen ist) und wir drei Mädels. Es handelt sich hier also um nicht anderes als ein Panoptikum der Charaktere. So verwundert es auch nicht, dass die Führung in den Hintergrund rückt und die Gruppendynamik ihren eigenen Lauf nimmt. Die auf uns herunterprasselnde Sonne und schier erdrückende Hitze erschwert es auch ungemein den Erläuterungen der Führerin zu folgen. Doch einiges ist trotzdem geblieben: Persepolis diente den Achämeniden angeblich ausschließlich für die Feierlichkeiten zu Noruz, dem persischen Neujahr. Das Reich der Achämeniden erstreckte sich zu seinen Glanzzeiten vom Indus bis nach Äthiopien. Erst Alexander der Große brachte es zu Fall und zerstörte dabei 330 v.Ch. auch Persepolis. Einige der bekanntesten persischen Könige entstammten der Dynastie der Achämeniden unter ihnen Cyrus II., Dariush I. und Xerxes. Ersterer wurde besonders durch seine fortschrittliche Einstellung zu den Freiheiten eines jeden Menschen berühmt. Von ihm stammt der in London ausgestellte Cyrus-Zylinder, auf dem Vorläufer der Menschenrechte eingraviert sind.

Leider ist von Persepolis, dessen Namen sich wie z.B. auch das Wort Farsi (für Persisch) von der iranischen Provinz Fars ableitet, nicht mehr viel erhalten. Nach Alexander sorgten die Araber bei ihrer Invasion in Persien für Gewalt und Zerstörung. Sie zerschlugen alle Abbildungen der achämenidischen Könige, da sie diese für Darstellungen der vormals angebeteten Gottheiten hielten. Doch nichts desto trotz beeindrucken die auf 125.000 qm verteilten Hallen und Bauwerke durch ihre Größe und detaillierten Abbildungen der hier stattfindenden Prozessionen. Anscheinend aber nicht so sehr wie wir Ausländer. Zwar handelt es sich bei Persepolis natürlich um einen Touristenmagnet, aber junge Fremdlinge sind im Iran doch eher selten gesehen. Iranischen Touristen wollen deshalb weniger Fotos von den faszinierenden Steinreliefen der Gesandten aus aller Welt in Persepolis machen als von uns. Amerikaner hätten daraus mal wieder Profit geschlagen und versucht so die geknickten Finanzinstitute zu unterstützen. Wir genießen einfach den Rummel und sind stolz darauf in Sachen Attraktivität Persepolis weit hinter uns gelassen zu haben.      

24. Oktober abends

Bereits in der Dunkelheit nehmen wir uns ein Taxi, welches uns vom Hotel zum Busbahnhof bringen soll. Von dort wollen wir weiter mit einem anderen Taxi ins ca. 95 km entfernte Firuzabad, denn dort wartet eine Iranerin mit ihrer 30-köpfigen Familie darauf, uns gastfreundschaftlich aufzunehmen und dabei näher zu begutachten. Die Graphik-Designerin war auf der Busfahrt von Teheran nach Shiraz neben Bahar gesessen und so hatte alles seinen Lauf genommen. Nun steuert unsere 80-cent-Fahrt zum Busbahnhof ihrem Ende zu, doch der bereits zuvor sehr herzliche Fahrer, gebietet uns noch im Auto zu bleiben. Bei drei allein reisenden Frauen kommen solche Ansagen häufiger vor. Wir sehen wie der Taxifahrer mit den anderen Fahrern verhandelt, auf Grund der Uhrzeit wird der Tarif jedoch teurer als gedacht. Zum Normalpreis fährt der Überland-Taxifahrer nur, wenn wir noch einen anderen Mann, der bereits im Auto wartet, mitnehmen. Oh nein, das lässt unser alter Chauffeur nicht zu, wir mit dem Fahrer und noch einem anderen Mann. Das ist viel zu gefährlich. Das persische Gluckenverhalten kommt mal wieder an die Oberfläche. Also gut, wir zahlen mehr; zu Gunsten unserer Sicherheit erleichtert man uns um 7 €.

Im Haus der Familie in Firuzabad angekommen, erwarten uns bereits alle. 60 Augen von Groß und Klein blicken uns neugierig und musternd an. Viele Frauen tuscheln über uns, was im Iran aber kein Zeichen von Unhöflichkeit, sondern eher Interesse ist. Elahe (die Graphik-Designerin) hatte ihre Verwandten bereits über uns informiert, zumindest das Standardraster Beruf, Alter, Herkunft, Familienstand und Name abgeklappert. Deshalb dient das Abendessen eher dazu, das Eis zur Schmelze zu bringen, bis es schließlich in der anschließend Runde im Wohnzimmer ganz gebrochen wird. Dieser Verdienst steht aber eigentlich einem siebenjährigen Jungen zu, den man bei uns als Kind mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom kennen würde, der hier aber seine Energie durch etliche Shows loswerden kann. Einmal stimmen Cousinen und Cousins ein Lied an, zu dem Ali Reza tanzt und ganz mädchenhaft seine Hüften kreisen lässt (dazu sei gesagt, dass dieser Junge so aussieht als würde ihm die Kebab-Monotonie nichts ausmachen). Darauf folgt eine fünf Sekunden Breakdance-Einlage. Keiner der dreißig, die wir alle im riesigen Wohnzimmer am Boden im Kreis sitzen (oder vielmehr Rechteck), kann sich dem Bann und der Skurrilität dieser Auftritte entziehen. Wir alle schütteln uns vor lachen, bis der kleine Mops wieder in seinem Thron Platz nimmt. Doch die Zeit, die uns für Unterhaltungen bleibt, ist nur die Ruhe vor dem Sturm. Wir drei Ausländerinnen sind nun Opfer Ali Rezas. Mal sehen, ob wir in der Uni wirklich was lernen, denkt er sich und zeigt nun ganz lehrerhaft auf Dinge im Raum, deren persischen Namen wir benennen müssen. Bei Bahars „porteqal“ für Orange zieht er kritisch eine Augenbraue hoch. Das q wurde nicht so ausgesprochen wie erwartet. Das qeyn ist für uns Ausländer auch ein schwieriger Laut, den wir nicht haben und der tief hinten im Rachen wie eine Mischung zwischen r und g entwickelt wird. Nun ist Katharina an der Reihe. Als sie ein Wort nicht weiß und ich es einwerfe, trifft mich der ausgestreckte 3-cm-Zeigefinger des Nachwuchslehrers. „Du bist nicht dran“, erfolgt die Ermahnung auf persisch in einem Ton, den mancher Referendarnachwuchs sich nicht traut anzubringen. Wir sitzen noch etwas zusammen, manche gehen bereits schlafen und legen sich dazu einfach in den hinteren Teil des riesigen Wohnzimmers auf ausgelegte Matten. Der morgige Tag wird anstrengend werden. Geplant ist die Wanderung zu einer Burg und die Besichtigung weiterer Sehenswürdigkeiten. Auf die Frage, wer uns begleiten möchte, hatten sich ¾ der Hände erhoben. Heute fühlen wir uns wirklich wie Ronaldinho und Konsorten, alle reißen sich um uns, besonders die Kinder haben sich einen Narren an uns gefressen. Doch der Schreck folgt auf dem Fuße. Um sieben Uhr aufstehen (es ist mittlerweile halb eins)! Ääähh, würde nicht auch acht gehen? Irgendwie ist uns das dann etwas zu deutsch, dieses „Morgenstund hat Gold im Mund“. Iraner scheinen sich konträr zu allen Vorstellungen von Südländern (oder begrenzt sich dieses Wort nur auf den Mittelmeerbereich?) zu verhalten. Sind das die arischen Wurzeln? 

25. Oktober

Der Berg ruft doch nicht. Es ist einfach zu heiß. Wir befinden uns hier in der Nähe der Wüste und es hat Ende Oktober noch ca. 28 Grad. Also geht’s erst mal nur zum Atashkadeh d.h. Feuertempel. Eigentlich war es ein normaler Palast der Sassaniden, die wie schon mal erwähnt, im 3. bis 7. Jahrhundert nach Christus im Iran regierten. Gleichzeitig wurden sie aber für religiöse Zwecke genutzt. In den hohen leicht flaschenförmigen Türmen brannte ein kleines Feuer, durch das die Bewohner ihren Gott ehrten. Mehrere solcher Atashkadehs verteilen sich über den ganzen Iran und sie sind alle mehr oder weniger gut erhalten. Immer wieder bringen Erdbeben die Mauern, die simpel Stein auf Stein errichtet wurden, zum Einsturz. Doch beeindruckend sind die Ruinen und besonders die Geschichte dahinter allemal.

36° Grad und es wird noch heißer... Wir fühlen uns der Steppe nahe und durchqueren sie bis wir das kleine Lager einer Nomadenfamilie erreichen. Der Platz, an dem sie sich niedergelassen haben, ist nicht wirklich idyllisch. Eingezwängt zwischen der Landstraße und einer Fabrik stehen zwei Zelte, diverse Kochutensilien und Kleidungsstücke liegen davor. In etwa 100 Meter Entfernung grasen Esel, die Schafe und Ziegen sind noch draußen beim Weiden. Wenn auch mit etwas distanziertem Blick heißen die Nomadenfrauen die Gäste willkommen. Sofort werden die Schläuche aus Ziegenhaut gezeigt, die das Trinkwasser eiskalt halten. Doch auch Autoreifen dienen als Behältnis für Flüssigkeiten. Häufig leben solche Stämme vom Teppichknüpfen, doch diese hier tauschen noch traditionell ihre Ziegen und Schafe gegen andere Waren. So werden die Geschenke auf der Hochzeit, die wenige Tage später stattfinden soll, auch eher dem (Über-)Leben als Vergnügen gewidmet sein. Der Braut, die angeblich 28 Jahre alt sein soll (je jünger um so heller die Farbe des Kleides), sieht man ihre Turkabstammung und das harte Leben in der Natur an. Sie scheint riesig groß und besitzt ein relativ männliches Gesicht mit wettergegerbter Haut. Das traditionelle, reich bestickte und verzierte Brautkleid der türkischen Perser scheint sich von ihrem Körper abzuheben, abzugrenzen. Wie eine Puppe posiert sie mit ihrer duftenden Hochzeitskette für ein Foto.

Die Sonne wird immer sengender. Wir suchen Schutz in einem Dorf, welches bekannt ist für die Herstellung von Teppichen. Hier sieht man auch noch die wahren iranischen Häuser, die in Teheraner immer mehr zu verschwinden scheinen. Man betritt den großen Vorhof durch eine breite Tür in der Mauer und sobald man sich fünf Meter in das Innere des Hauses vorgewagt hat, befindet man sich auch bereits in dessen Zentrum. Was bedeutet auch nicht sehr weit von der Küche entfernt. Die erste Familie scheint eines der traditionelle Gericht des Iran zu kochen, Schafshirn mit Schafsfuß. Der Geruch katapultiert mich schlicht aus dem Haus zurück ins Freie. Ich bin erleichtert, als mir mitgeteilt wird, wir hätten uns um eine Nummer im Haus geirrt. Die nächste Familie, der wir ebenso unbekannt sind wie dem ganzen Dorf, ist mir da schon viel lieber. Sie zeigt uns den Rahmen, auf dem die Mutter gerade einen mittelgroßen Teppich knüpft, und erklärt die Technik. Die Frau hat ein Muster vor sich liegen, -was sie jedoch schnell verinnerlicht hat- nach dem sie die Fäden von links nach rechts knüpft, mit einem Teppichmesser abschneidet, um sie dann nach Beendigung der Reihe mit einem Metallkamm festzuklopfen. Alle ihre Töchter lernen dieses Handwerk von klein auf, so dass sie dann im Jugendlichenalter ihren ersten richtigen Teppich herstellen können. Die Nachbarn von gegenüber haben unseren Besuch mitbekommen und laden uns nun auch in ihr Heim ein. Sie haben türkische Wurzeln und sprechen persisches Türkisch, was bedeutet ich mit meinem Istanbuler Hochtürkisch verstehe kein Wort. Das brauchen wir aber auch nicht, denn der Teppich, der hier im Wohnzimmer aufgespannt ist, spricht Bände. Er ist geschätzte 3 x 2 Meter groß und an ihm arbeiten zwei Frauen ein Jahr lang. Das hat natürlich auch seinen Preis; die Familie wird ihn für ca. 4 oder 5 Mio. Tuman verkaufen, also ungefähr 3600 €, letztendlich wird er aber im Laden einiges mehr kosten. Doch sein Muster und die Qualität rechtfertigen den Preis. Während sich Bahar und Katharina an der Mithilfe beim Knüpfen versuchen, raucht auf einem Stuhl daneben eine Frau der Familie Wasserpfeife. Im Garten kommen die Kinder und Mädchen zusammen, die allesamt ein Foto mit uns in unterschiedlichen Konstellationen wünschen. Im Iran werden unsere Gesichter in jedem Fall bis in die Ewigkeit überdauern. In so vielen iranischen Wohnzimmern, Fotoalben und Handys werden Menschen auf uns herabblicken, dass wir gar nicht in Vergessenheit geraten können...           




     


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